Der Zusatzpflichtteil ist ein weniger bekannter Anspruch von Pflichtteilsberechtigten, denen durch den Erblasser ein zu geringer Anteil am Erbe zugewiesen wurde.
Die Testierfreiheit erlaubt es Menschen grundsätzlich, darüber zu bestimmen, wer ihr Erbe werden soll. Dennoch privilegiert das Gesetz bestimmte nahe Verwandte des Erblassers, denen ein Pflichtteil am Erbe zusteht. Die Höhe des Pflichtteilsanspruchs beläuft sich auf die Hälfte des gesetzlichen Erbanspruchs. Oft versuchen Erblasser, den Pflichtteil zu umgehen, indem sie den pflichtteilsberechtigten Erben gering am Erbe beteiligen. Der Erbteil erreicht nicht den vom Gesetzgeber vorgesehenen hälftigen Betrag des gesetzlichen Erbanspruchs. Hier kann der Zusatzpflichtteil oder Pflichtteilsrestanspruch relevant werden.
Inhaltsverzeichnis
1. Was ist der Zusatzflichtteil?
2. Ausschlagung von Erbe/Vermächtnis und Pflichtteilsanspruch
3. Sinn und Zweck des Pflichtteilsrestanspruchs
4. Der Zusatzpflichtteil und die Erbengemeinschaft
5. Geltendmachung des Restpflichtteils und Verjährung
6. Der Zusatzpflichtteil in der Zugewinngemeinschaft unter Ehegatten
7. Zusatzpflichtteil als komplexe rechtliche Regelung
Was ist der Zusatzpflichtteil?
Gesetzlich geregelt ist der Zusatzpflichtteil in § 2305 BGB. Der Anspruch richtet sich gegen Miterben. Er ist seiner Natur nach ein Ausgleichsanspruch. Hat ein Pflichtteilsberechtigter weniger als die Hälfte des gesetzlichen Erbteils erhalten, kann er Ausgleich in Höhe des rechtlich verbleibenden Betrages bis zur Hälfte des gesetzlichen Erbteils von Miterben verlangen. Deshalb wird dieser Anspruch auch als Pflichtteilsrestanspruch bezeichnet. Der Anspruch kann auch bestehen, wenn dem Pflichtteilsberechtigten ein Vermächtnis und kein Erbteil zugesprochen wird.
Ausschlagung von Erbe/Vermächtnis und Pflichtteilsanspruch
Nach § 2306 BGB kann ein Pflichtteilsberechtigter, der durch eine Nacherbenregelung, durch Einsetzung eines Testamentsvollstreckers oder eine Teilungsanordnung beschränkt, beziehungsweise durch Vermächtnis oder Auflage beschwert ist, das Erbe ausschlagen. Er kann in diesem Fall seinen Pflichtteil in voller Höhe verlangen.
Wird ein Pflichtteilsberechtigter nur über ein Vermächtnis vom Erblasser bedacht, kann er dieses ausschlagen und gemäß § 2307 BGB seinen Pflichtteil in voller Höhe verlangen. Wichtig ist, dass beim Vermächtnis die Ausschlagung jederzeit unter Wahrung des Pflichtteilsanspruchs möglich ist. Es gibt keine Einschränkungen wie in § 2306 BGB. Das Recht zur Ausschlagung und Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs besteht selbst dann, wenn das Vermächtnis an sich unbelastet und unbeschwert ist.
Sinn und Zweck des Pflichtteilsrestanspruchs
Vielen Menschen ist inzwischen bekannt, dass einige ihrer nahen Verwandten Anspruch auf den Pflichtteil haben. Der Gesetzgeber hat zu Recht die Gefahr gesehen, dass mancher Erblasser die Pflichtteilsberechtigung durch eine geringe Beteiligung am Erbe oder durch ein Vermächtnis aushöhlen will. Die Pflichtteilsregelung des § 2303 BGB könnte auf diese Weise umgangen werden. Dem wurde der Pflichtteilsrestanspruch entgegengesetzt.
Der Zusatzpflichtteil und die Erbengemeinschaft
Selbst wenn sich der Pflichtteilsrestanspruch in seiner klassischen Anwendung nur auf den Ausgleich eines verbleibenden Pflichtteils richtet, betrachtet das Gesetz diesen Restanspruch als echten Pflichtteilsanspruch. Diese Bewertung hat Folgen für die Geltendmachung des Zusatzpflichtteils. Durch die Benachteiligung des Pflichtteilsberechtigten über einen zu geringen Anteil am Erbe, entsteht mit den anderen Erben eine Erbengemeinschaft mit allen ihren potenziellen Nachteilen. Der durch den Zusatzpflichtteil Berechtigte darf dabei nicht schlechter gestellt werden als ein vom Erblasser vollständig enterbter Pflichtteilsberechtigter. Hier kommt es bei der entstandenen Erbengemeinschaft auf ein wichtiges Detail an:
Der Anspruch auf den Restpflichtteil richtet sich gegen die anderen Miterben und nicht als gemeinschaftliche Nachlassverbindlichkeit gegen die Erbengemeinschaft selbst. Würde er sich gegen die Erbengemeinschaft richten, würde das den Pflichtteilsberechtigten benachteiligen. Sein potenzieller Resterbteil würde in diesem Fall erneut reduziert werden, weil er selbst Teil der Erbengemeinschaft geworden ist. In analoger Anwendung von § 2058 BGB haften die übrigen Miterben beim Restpflichtteil dem Pflichtteilsberechtigten gegenüber gesamtschuldnerisch.
Geltendmachung des Restpflichtteils und Verjährung
Der Zusatzpflichtteil muss im Rahmen der Erbauseinandersetzung in der Erbengemeinschaft geltend gemacht werden. Der Auseinandersetzungsanspruch in einer Erbengemeinschaft verjährt nicht. Das Gesetz betrachtet aber den Restpflichtteil als Pflichtteilsanspruch. Deshalb verjährt dieser Anspruch wie der gesamte Pflichtteilsanspruch innerhalb von 3 Jahren. Es gelten die §§ 195,199 BGB. Die Verjährungsfrist beginnt am Ende des Jahres zu laufen, in dem der Anspruch entstanden ist. Der Zeitpunkt ist im Sinne von § 2317 BGB mit dem Erbfall und der Kenntnis des pflichtteilsberechtigten Erben von seiner Benachteiligung durch die wertmäßige Reduzierung des Erbteils gegeben. Die Verjährung beginnt zu laufen, wenn der Pflichtteilsberechtigte weiß, wie sich der Nachlass zusammensetzt und welchen Wert er hat.
In manchen Fällen, in denen bereits die Verjährung droht, muss der Pflichtteilsberechtigte zur Sicherung seines Restpflichtteils Feststellungsklage erheben. Damit wird die Verjährung gehemmt. Die Feststellungsklage richtet sich darauf, seinen Anspruch auf den Zusatzpflichtteil rechtskräftig feststellen zu lassen. Rechtmäßig festgestellte Ansprüche verjähren nach § 197 Abs. 1 Nr. 3 BGB in 30 Jahren.
Der Zusatzpflichtteil in der Zugewinngemeinschaft unter Ehegatten
Lebte der Erblasser mit einem Ehegatten im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft, steht dem Ehegatten nach seinem Tod gemäß § 1371 Abs. 1 BGB ein erhöhter Erbteil zu. Gesprochen wird vom großen Pflichtteil. Verfügt der Erblasser, dass dem Ehegatten nur ein kleiner Pflichtteil zustehen soll, kann sein Ehepartner einen Zusatzpflichtteil verlangen. Dieser ergibt sich als Differenzbetrag aus dem Wert des großen Pflichtteils und dem Wert des tatsächlichen Erbteils.
Dem Ehegatten steht kein Zugewinnausgleichsanspruch zu. Zwar hat er einen geringeren Anteil am Erbe erhalten, als ihm nach dem großen Pflichtteil zustünde. Es liegen aber nicht die Voraussetzungen von § 1371 Abs. 2 BGB vor, sodass der Zugewinnausgleichsanspruch ausscheidet.
Möglich ist es, dass der Ehegatte seinen zu geringen Erbteil nach § 1371 Abs. 3 BGB ausschlägt. Er könnte dann den kleinen Pflichtteil und zusätzlich den Zugewinnausgleich beanspruchen. Hier kommt es am Ende darauf an, ob er mit dem Pflichtteilsrestanspruch rechnerisch besser bedient ist oder mit dem kleinen Pflichtteil plus Zugewinnausgleich.
Zusatzpflichtteil als komplexe rechtliche Regelung
Pflichtteilsberechtigte wissen häufig nicht, dass ihnen ein Zusatzpflichtteil zusteht. Sie verzichten unwissentlich auf den Restpflichtteil. Wer pflichtteilsberechtigt ist, sollte deshalb nicht nur prüfen, ob sein Pflichtteil überhaupt berücksichtigt wurde. Er muss auch nachvollziehen, ob sein Anteil am Erbe den Wert des hälftigen gesetzlichen Erbanspruches erreicht. Vielfach wird ein Pflichtteilsberechtigter bei dieser Prüfung und den erforderlichen Berechnungen die Hilfe eines Rechtsanwalts benötigen. Ebenso stellt die Auseinandersetzung mit den Miterben beim Zusatzpflichtteil den Berechtigten vor rechtliche Herausforderungen. Es ist außerdem wichtig, den Zusatzpflichtteil vom Pflichtteilsergänzungsanspruch im Sinne von § 2325 BGB zu unterscheiden.