Mit dem Pflichtteilsergänzungsanspruch haben Pflichtteilsberechtigte einen weiteren Anspruch, wenn der Erblasser zu Lebzeiten den Pflichtteil durch Schenkungen geschmälert hat.
Der Pflichtteilsanspruch im Erbrecht kann nur unter sehr außergewöhnlichen Umständen ausgeschlossen werden. Regelmäßig haben Pflichtteilsberechtigte einen Anspruch auf Auszahlung eines Wertes, der dem hälftigen Anteil ihres Erbteils entspricht. Das bedeutet, dass der Erblasser selbst bei einer Enterbung den Pflichtteil nicht ausschließen kann. Das ist vielen Erblassern nicht recht. Um den Pflichtteil der Höhe nach auszuhöhlen, könnte der Erblasser schon zu Lebzeiten sein Erbe zu einem großen Teil verschenken und so den Pflichtteil bis auf null reduzieren. Um solche Entwicklungen zu verhindern, hat der Gesetzgeber mit § 2325 BGB den Pflichtteilsergänzungsanspruch eingeführt. Hiernach werden in einem bestimmten Zeitraum Schenkungen des Erblassers berücksichtigt. Der Pflichtteilsberechtigte kann über diese Norm eine Ergänzung seines durch Schenkungen verminderten Pflichtteils verlangen.
Inhaltsverzeichnis
1. Wer kann den Pflichtteilsergänzungsanspruch geltend machen?
2. Gegen wen richtet sich der Anspruch?
3. Wie wird der Pflichtteilsergänzungsanspruch berechnet?
4. Wann beginnt die Zehnjahresfrist zu laufen?
5. Die Verjährung beim Pflichtteilsergänzungsanspruch
6. Fazit
Wer kann den Pflichtteils-ergänzungsanspruch geltend machen?
Hat ein Erblasser zu seinen Lebzeiten den Pflichtteilsanspruch eines Pflichtteilsberechtigten durch Schenkungen an Dritte geschmälert, steht dem Pflichtteilsberechtigten ein Pflichtteilsergänzungsanspruch zu. Nach § 2326 BGB können diesen Anspruch auch Mit- oder Alleinerben geltend machen, wenn ihr Erbteil durch entsprechende Schenkungen verringert wurde. Berücksichtigt werden Schenkungen, die innerhalb einer Zehnjahresfrist vor dem Todesfall erfolgten. Schenkungen, die mehr als 10 Jahre zurückliegen, werden nicht mehr von dem Ergänzungsanspruch erfasst. Ebenfalls nicht erfasst sind nach § 2330 BGB sogenannte Anstandsschenkungen wie beispielsweise Weihnachts- oder Geburtstagsgeschenke. Je nach den Bedingungen des einzelnen Falls muss sich der Pflichtteilsberechtigte gegebenenfalls eigene Schenkungen auf den Pflichtteilsergänzungsanspruch anrechnen lassen.
Gegen wen richtet sich der Anspruch?
In erster Linie richtet sich der Pflichtteilsergänzungsanspruch gegen die übrigen Erben. Ist deren Inanspruchnahme ausgeschlossen, weil die Zahlung auf den Ergänzungsanspruch ihren eigenen Pflichtanteil einschließlich ihrer eigenen Ergänzungsansprüche belasten würde, kann der Beschenkte gemäß § 2329 BGB in Anspruch genommen werden. Hier kann nach § 2329 BGB Abs. 1 der Pflichtteilsberechtigte den Beschenkten nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung in Anspruch nehmen und die Herausgabe des Geschenkes zum Zwecke seiner Befriedigung fordern. Der Beschenkte kann den geforderten Betrag auch in Geld ausgleichen, ohne das ursprüngliche Geschenk herauszugeben.
Wie wird der Pflichtteils-ergänzungsanspruch berechnet?
Die Berechnung des Anspruchs erfolgt nach dem sogenannten Abschmelzungsmodell. Das bedeutet, die Höhe des Anspruches verringert sich innerhalb der Zehnjahresfrist um einen bestimmten Anteil, je weiter die Schenkung zeitlich zurückliegt. Der Anteil vermindert sich dabei mit den ablaufenden Jahren immer um 10 %. Bei einer innerhalb des ersten Jahres vor dem Todesfall erfolgten Schenkung umfasst der Wert des Pflichtteilsergänzungsanspruchs deren vollen Wert. Wurde die Schenkung dagegen bis zu zwei Jahren vor dem Todesfall vorgenommen, beläuft sich der Wert auf 90 % des Geschenkes. So wird immer weiter heruntergerechnet, bis im zehnten Jahr nach dem Todesfall 10 % erreicht werden. Liegt die Schenkung länger zurück als 10 Jahre, beläuft sich der Anteil des Pflichtteilsergänzungsanspruchs auf null.
Wann beginnt die Zehnjahresfrist zu laufen?
Nicht bei allen Schenkungen ergibt sich der Zeitpunkt der Schenkung unkompliziert aus einem bestimmten Datum. Auch können Schenkungen mit weiteren Verpflichtungen des Beschenkten verbunden sein, die Zweifel daran aufkommen lassen, ob eine Schenkung im Sinne des Pflichtteilsergänzungsanspruchs gegeben ist.
Verschenkt beispielsweise der Erblasser ein Grundstück gegen Einräumung eines Nießbrauchs behält er ein Nutzungsrecht an dem Grundstück. Zwar handelt es sich nach allgemeiner Auffassung bei einer Schenkung mit Einräumung eines Nießbrauchs um eine Schenkung im Sinne des Pflichtteilsergänzungsanspruchs. Der Beginn für die Zehnjahresfrist wird allerdings auf einen Zeitpunkt gelegt, zu dem der Erblasser und Schenker nicht nur seine Rechtsstellung als Eigentümer aufgibt, sondern auch auf die Nutzung des verschenkten Gegenstandes im Wesentlichen verzichtet. In der Regel ist das erst dann der Fall, wenn der Nießbrauch zum Todeszeitpunkt wegfällt. Bis zum Tod des Erblassers ist das Nießbrauchrecht ein Vermögensgegenstand im Vermögen des Erblassers und der Fristbeginn für die Zehnjahresfrist nach § 2325 BGB ist gehemmt.
In der Rechtspraxis können sich hier komplizierte Einzelfälle und viele Rechtsfragen ergeben. Nutzt zum Beispiel der Erblasser nur wenige einzelne Räume innerhalb eines größeren Wohnhauses für sich, stellt diese Weiternutzung nach Auffassung des Bundesgerichtshofs keine wesentliche Weiternutzung dar, sodass der Fristbeginn bereits mit der Einräumung des Nießbrauchrecht festgelegt wird.
Die Komplexität bestimmter Gestaltungen bei Schenkungen macht es im Zusammenhang mit einem Pflichtteilsergänzungsanspruch häufig notwendig, anwaltliche Unterstützung in Anspruch zu nehmen.
Die Verjährung beim Pflichtteils-ergänzungsanspruchs
Es gilt die 3-Jahresfrist im Sinne der § § 195, 199 Abs. 1 BGB für die Verjährung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs gegen die Erben. Die Frist beginnt aber erst mit Ablauf des Jahres zu laufen, in dem der Anspruch entstanden ist. Was heißt das in der Praxis?
Erfährt ein Pflichtteilsberechtigter beispielsweise am 20. Februar 2019 vom Tod des Erblassers und dessen Schenkungen, beginnt die drei Jahresfrist erst am 31.12.2019 zu laufen. Der Anspruch ist zum 31.12. 2022 verjährt. Erlangt der Pflichtteilsberechtigte dagegen erst nach mehreren Jahren von vorhergehenden Schenkungen zu Lebzeiten des Erblassers Kenntnis, beginnt die Frist erst mit der Kenntnisnahme zu laufen. Maximal beläuft sich die Verjährungsfrist auf 30 Jahre.
Diese Details bei der Fristberechnung können zu einem paradoxen Ergebnis führen: Möglicherweise kann ein Anspruch auf den Pflichtteil mit seiner ebenfalls dreijährigen Verjährungsfrist bereits verjährt sein. Hier gilt die Kenntnis des Todesfalls als Fristbeginn. Dagegen kann der Pflichtteilsergänzungsanspruch weiterhin gegeben sein, weil der Pflichtteilsberechtigte erst später von der Schenkung erfahren hat. Es ist deshalb besonders wichtig für Sie, im Pflichtteilsanspruch und im Pflichtteilsergänzungsanspruch zwei gesonderte Ansprüche zu sehen. Gemeinsam haben die beiden Ansprüche die Anknüpfung an die Pflichtteilsberechtigung. Davon abgesehen haben sie jeweils unterschiedliche Voraussetzungen.
Fazit
Der Gesetzgeber im Erbrecht sieht den Pflichtteilsanspruch als so wichtig an, dass er für zu Lebzeiten vorgenommene Schenkungen des Erblassers dem Pflichtteilsberechtigten mit dem Pflichtteilergänzungsanspruch einen wertmäßigen Ausgleich sichert. Es werden dabei nur Schenkungen berücksichtigt, die bis zu 10 Jahre vor Eintritt des Erbfalles liegen. Berechnet wird der Wert des Pflichtteilsergänzungsanspruchs nach einem Abschmelzungsmodell. Die Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs kann komplexe Rechtsfragen aufwerfen, insbesondere, wenn die Schenkung mit einem weiteren Nutzungsrecht des Erblassers wie beispielsweise bei einem Nießbrauch verbunden ist. Auch die Berechnung der Verjährung ist beim Pflichtteilsergänzungsanspruch anspruchsvoll. Deshalb sind in diesem Bereich noch mehr als bei der Geltendmachung des Pflichtteilsanspruches rechtsanwaltliche Beratung und Begleitung empfehlenswert.